Da helfen nur noch Ohrfeigen
Seit fast 30 Jahren lese ich bei meinen regelmäßigen Besuchen in Ihrem Land mit besonderer Freude die AZ und es ist ein sorgsam befolgtes Ritual, vom Flugplatz in die Stadt zu fahren, eine AZ zu erwerben und Brötchen essen zu gehen. Dann ist man in angekommen in SWA. Über Ihre Behauptung, Europa habe nach der Zerbröckelung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation den Nationalismus entdeckt und bis ins Verderben gepflegt, kann ich aber nicht mehr lächeln: Das hat Europa nicht verdient.
Ganz im Gegenteil: Die "glorious revolution", mit der England sich 1688 vom Feudalismus befreite und den König die berühmte "bill of rights" unterschreiben ließ, war nur möglich, weil sich das durch Kultur und Sprache definierte Volk als Verständigungsgemeinschaft begriff und durchsetzte. Ebenso verlief die französische Revolution, die zunächst scheiterte und erst nach Napoleon Erfolg hatte. Auch sie war nur möglich, weil die Franzosen sich plötzlich als Nation begriffen und Graf Mirabeau in seiner durch Heinrich von Kleists Wiedergabe unsterblich gewordenen Rede den Abgesandten des Königs eine frühe Form von: "Wir sind das Volk!" erfolgreich entgegenhielt.
Nationalbewusstsein und Demokratie und die Entwicklung zur modernen Gesellschaft wurden danach in Europa ein und dasselbe. In ganz Europa? Leider nein. Nicht so nämlich in Deutschland. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wurde im Jahre 800 mit der Krönung Karls des Großen begründet, zerfiel nach ihm in drei Teile, überlebte nur im östlichen Teil und wurde dort im Jahre 1806 vom österreichischen Kaiser Franz I. ohne größere Anteilnahme der Bevölkerung formlos beendet. Es war tausendjährig und wurde von einer späteren Generation als I. Reich betrachtet. Aber das war es nicht: Es war immer nur ein völlig loser Staatenbund, der nie ein eigenes Nationalbewusstsein hatte und nicht zerbröckeln musste, weil er nie festgefügt war.
Das war den Deutschen, die 1848 so gern ein Nationalbewusstsein als einigende Kraft eingesetzt hätten, ganz gegenwärtig und klar und deswegen ging ihnen Deutschland über alles auf der Welt, weil es eben ihr heißester Wunsch war, dass es ein durch die sprachliche und kulturelle Einheit definiertes Deutschland geben möge, so wie es ein Frankreich und ein England gab, und dass sich in einem solchen Deutschland aus dem Selbstbewusstsein der nationalen Einheit eine ebenso moderne Gesellschaft entwickeln möge, wie sie sich westlich davon schon entwickelte hatte.
Es kam bekanntlich anders: Die Einigung, die von unten nicht klappte, versuchte Bismarck von oben. Und heraus kam nichts als Wilhelm I., der wenig später gern als Begründer eines II. Reiches betrachtet wurde. Von seiner Selbstüberschätzung borgten sich die Bürger ihr Wertgefühl und verschütteten sich den Weg zu zum demokratischen Selbstbewusstsein. Jetzt bekam das Wort "national" seinen Zusatz "-ismus", und das zu Recht. Der Untertan wollte untertan sein. Deswegen konnte die Weimarer Republik ihm nichts bieten und deswegen war es dann so leicht, ihm ein III. Reich zu verkaufen und ihn jubelnd ins Verderben marschieren zu lassen. Deswegen wurde es nun nötig, ihm seine Städte in Schutt und Asche zu legen: Es gibt eben Bewusstseinzustände, da helfen nur noch Ohrfeigen dieses Kalibers.
Aber das war nicht Europa. Das war die Unfähigkeit der zwischen Maas und Memel, zwischen Etsch und Belt lebenden Menschen, eine Nation zu bilden. Sie mögen es heute noch nicht: Multikulti ist viel schicker! Europa wird auch das überstehen. Deswegen und trotz Brüssel mögen wir es und deswegen möchten wir, die Angehörigen der ersten Nachkriegsgeneration, es gegen den Vorwurf des Nationalismus verteidigt sehen.
Dr. Uwe J. Petersen, Hamburg
Ganz im Gegenteil: Die "glorious revolution", mit der England sich 1688 vom Feudalismus befreite und den König die berühmte "bill of rights" unterschreiben ließ, war nur möglich, weil sich das durch Kultur und Sprache definierte Volk als Verständigungsgemeinschaft begriff und durchsetzte. Ebenso verlief die französische Revolution, die zunächst scheiterte und erst nach Napoleon Erfolg hatte. Auch sie war nur möglich, weil die Franzosen sich plötzlich als Nation begriffen und Graf Mirabeau in seiner durch Heinrich von Kleists Wiedergabe unsterblich gewordenen Rede den Abgesandten des Königs eine frühe Form von: "Wir sind das Volk!" erfolgreich entgegenhielt.
Nationalbewusstsein und Demokratie und die Entwicklung zur modernen Gesellschaft wurden danach in Europa ein und dasselbe. In ganz Europa? Leider nein. Nicht so nämlich in Deutschland. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wurde im Jahre 800 mit der Krönung Karls des Großen begründet, zerfiel nach ihm in drei Teile, überlebte nur im östlichen Teil und wurde dort im Jahre 1806 vom österreichischen Kaiser Franz I. ohne größere Anteilnahme der Bevölkerung formlos beendet. Es war tausendjährig und wurde von einer späteren Generation als I. Reich betrachtet. Aber das war es nicht: Es war immer nur ein völlig loser Staatenbund, der nie ein eigenes Nationalbewusstsein hatte und nicht zerbröckeln musste, weil er nie festgefügt war.
Das war den Deutschen, die 1848 so gern ein Nationalbewusstsein als einigende Kraft eingesetzt hätten, ganz gegenwärtig und klar und deswegen ging ihnen Deutschland über alles auf der Welt, weil es eben ihr heißester Wunsch war, dass es ein durch die sprachliche und kulturelle Einheit definiertes Deutschland geben möge, so wie es ein Frankreich und ein England gab, und dass sich in einem solchen Deutschland aus dem Selbstbewusstsein der nationalen Einheit eine ebenso moderne Gesellschaft entwickeln möge, wie sie sich westlich davon schon entwickelte hatte.
Es kam bekanntlich anders: Die Einigung, die von unten nicht klappte, versuchte Bismarck von oben. Und heraus kam nichts als Wilhelm I., der wenig später gern als Begründer eines II. Reiches betrachtet wurde. Von seiner Selbstüberschätzung borgten sich die Bürger ihr Wertgefühl und verschütteten sich den Weg zu zum demokratischen Selbstbewusstsein. Jetzt bekam das Wort "national" seinen Zusatz "-ismus", und das zu Recht. Der Untertan wollte untertan sein. Deswegen konnte die Weimarer Republik ihm nichts bieten und deswegen war es dann so leicht, ihm ein III. Reich zu verkaufen und ihn jubelnd ins Verderben marschieren zu lassen. Deswegen wurde es nun nötig, ihm seine Städte in Schutt und Asche zu legen: Es gibt eben Bewusstseinzustände, da helfen nur noch Ohrfeigen dieses Kalibers.
Aber das war nicht Europa. Das war die Unfähigkeit der zwischen Maas und Memel, zwischen Etsch und Belt lebenden Menschen, eine Nation zu bilden. Sie mögen es heute noch nicht: Multikulti ist viel schicker! Europa wird auch das überstehen. Deswegen und trotz Brüssel mögen wir es und deswegen möchten wir, die Angehörigen der ersten Nachkriegsgeneration, es gegen den Vorwurf des Nationalismus verteidigt sehen.
Dr. Uwe J. Petersen, Hamburg
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Allgemeine Zeitung
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