BIG macht den Unterschied

Praktikant Praktikant
Von Ulrike Keller, Otjivero/Omitara


Ein Autoreifen schnellt über die breite Sandstraße. Für seinen Antrieb sorgen zwei kleine Jungen, die dem rollenden Gummi im Barfuß-Galopp folgen. Mit kurzen Berührungen geben sie die Richtung vor. Dicht an ihren Versen: ein weiß-brauner Terrier-Mix. Seelenruhig bleibt eine Ziege stehen und gewährt den Dreien Vorfahrt. Im nächsten Moment verschwinden sie hinter einem Wellblechzaun. Da, wo Frauen an großen Zinkwannen sitzen und farbenfrohe Wäsche ausspülen. Otjivero/Omitara gibt sich beschaulich an diesem jungen Freitagvormittag.
Doch Dorfoberhaupt Stephanus Eigowab weiß, wo sich das Leben gerade konzentriert. Mit Deutschland-Basecap auf dem Kopf schlendert er ans andere Ende des Ortes. Als wäre es seine Stammkneipe, betritt er ein langes, blau-orangefarbenes Gebäude: die Nampost-Filiale. Männer diskutieren, Frauen plauschen, Kinder lugen neugierig zur Tür herein. Dieser grelle Flachbau aus Stein markiert Punkt Null einer neuen Zeitrechnung in der Chronik des Dorfes. Gebaut wurde er, als dieser bitterarme Flecken Erde im Jahr 2008 für die testweise Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (Basic Income Grant, BIG) ausgewählt wurde. Das hieß: Über zwei Jahre hinweg 100 Namibia-Dollar monatlich für jeden, der dauerhaft in Otjivero/Omitara lebt und noch keine Rente bezieht, Kinder eingeschlossen. Rund 1000 von 1630 Einwohnern erfüllten diese Bedingung. Nampost übernahm die Auszahlung und Kontoverwaltung vor Ort. Die Frage war: Was wird sich ändern? Taugt das BIG als Instrument zur landesweiten Bekämpfung von Armut? Abgeschieden auf halber Strecke zwischen Windhoek und Gobabis liegend, schien in Otjivero/Omitara sichergestellt, dass neue Entwicklungen allein dieser Finanzspritze geschuldet sind.
Durch eine großzügige Lücke im Gitter zählt eine Kundin der Nampost-Angestellten Geldscheine vor und stapelt sie zu dünnen Häufchen: Sella /Nuses überweist Geld an ihre Schwester in Windhoek, damit diese noch am selben Abend günstig Lebensmittel einkaufen und nach Otjivero/Omitara bringen kann. Lebensmittel für das Geschäft, das Sella /Nuses von dem BIG aufgebaut hat. Ganz klein, mit Brot und Süßigkeiten, fing sie an. Inzwischen verkauft sie so ziemlich alles für den täglichen Bedarf: von Nudeln und Tomatensauce über Konservenfisch bis hin zu Öl, Saft und Bier.
„Das BIG hat alles verändert“, sagt Stephanus Eigowab und erzählt: Der bis dahin einzige Laden im Ort gab durch die neue Konkurrenz seine überhöhten Preise auf. Junge Leute fuhren von dem Geld in die Stadt und fanden Arbeit. Nur ein kleiner Teil - vielleicht fünf Prozent - hätte die 100 Namibia-Dollar in Luxusartikel, Alkohol und Drogen umgesetzt. Die Mehrheit versucht es dem Ortschef zufolge sinnvoll zu nutzen. Sella /Nuses etwa hat für die Ausbildung ihrer vier Kinder schon 4100 Namibia-Dollar gespart, verrät sie.
Schräg gegenüber von der Postfiliale wohnt Frieda Nembwaya mit ihren neun Kindern. Vor dem Eingang der Wellblechhütte sitzen zwei junge Frauen, die sich mit Musik aus dem Handy beschallen. Sie warten, bis in knapp 30 Minuten frische Brötchen fertig sind. „Den Gasofen habe ich mir vor zwei Jahren vom BIG gekauft“, verkündet Frieda Nembwaya in der kleinen, dunklen, aufgehitzten Küche. Gleich mit dem Start des Pilotprojekts, das sie anfangs für einen Scherz hielt („Warum sollte uns jemand Geld schenken?“), begann sie zu backen. Inzwischen umfasst ihr Tagessoll 30 Weißbrote, 225 Brötchen, knapp 30 Muffins sowie einiges an Keksen. Zielstrebig arbeitet sie darauf hin, irgendwann genug Kapital für eine eigene Bäckerei in einem richtigen Steinhaus zu haben. Geschäfts- und Bauplan liegen bereits in der Schublade. Ihre Idee: Im Auftrag der Regierung dunkles Brot für die Kinder in der Schule zu backen. Dann wäre sie auch nicht mehr allein abhängig von der Kaufkraft im Ort, die am BIG hängt.
Ursprünglich wollte die Regierung nach den zwei Testjahren alle Ergebnisse auswerten und entscheiden, ob sie das BIG landesweit einführt. Dieser Schritt steht noch aus. Aus humanitären Beweggründen haben sich auch nach Ende der Pilotphase immer wieder Geldgeber gefunden, die die Auszahlung für einen weiteren begrenzten Zeitraum ermöglichten. Zwischendurch jedoch kam es mehrfach zu Unterbrechungen der finanziellen Unterstützung. Die letzte Pause währte nahezu ein Jahr. Erst im Mai erhielten die rund 900 Personen wieder Geld, diesmal nicht aus Deutschland, sondern von der evangelischen Kirche in Italien. Die Zahlung ist bis kommenden April garantiert.
„Es war schwer für uns ohne das BIG“, sagt Frieda Nembwaya. „Aber ich habe nicht aufgehört zu backen.“ Auch Geschäftsinhaberin Sella /Nuses hatte zu kämpfen: Viele ihrer Kunden ließen anschreiben. Irgendwann fehlten ihr die Einnahmen, um Ware zu kaufen.
Sellas Ehemann Alfred /Nuseb wartet vor dem Postamt. Er gehört - ebenso wie Stephanus Eigowab - zu den 18 Vertretern des Dorfrats, der mit der Einführung des BIG gegründet wurde. In erster Linie, um Tipps zum wirtschaftlichen Umgang mit dem Geld zu geben und bei Problemen einzuschreiten. Stichwort Alkohol: Die Zahl der Trinkstuben (Shebeens) verdoppelte sich auf 16. Alle acht Neuen entstanden illegal. Die meisten wurden bereits auf Initiative des Dorfrats geschlossen. Und öffneten erneut. „Wir sind hinterher“, versichert Eigowab. „Sie sollen abgerissen werden.“ Ärger machten zudem Drogenhändler, die sich rasch im Ort niederließen. Auch da wurde der Dorfrat aktiv.
„Es muss weitergehen mit dem BIG“, wünscht sich Alfred /Nuseb. Wichtig sei, dass es auch anderswo eingeführt werde - gerade für die Arbeitslosen. „Vor dem BIG hatte ich keinen Job“, erinnert er sich. „Ich war zu Hause und habe nichts gemacht. Jetzt sind wir Geschäftsleute.“ Die obendrein eine Shebeen betreiben - legal. Der Traum des Paares: das Geschäft weiter zu vergrößern und irgendwann Geld für ein Steinhaus zu haben.
Eines der wenigen mit Steinhäusern bebauten Grundstücke in Otjivero/Omitara ist das von Stephanus Eigowab. Darin sah der pensionierte Schulleiter eine bleibende Investition. Seine Frau begann, von dem Zubrot Schuluniformen und andere Kleidungsstücke zu schneidern. Ansonsten sparen sie das BIG für unvorhergesehene Ausgaben wie die gerade erforderlich gewordene Autoreparatur. Und sie legen Geld zurück, um Sicherheiten für die vier Enkel zu schaffen.
Ganz in der Nähe tüftelt Joseph Ganib daran, aus Metallstäben und zwei Rädern einen Fahrrad-Anhänger zu bauen. Holz holen will er damit, auch für andere alte Leute. „In den zehn Monaten ohne BIG sind wir fast gestorben vor Hunger“, sagt der Handwerker. „Ich habe gebetet, dass es zurückkommt, und es kam zurück.“ Über die Jahre hat er seine Kinder einkleiden können von dem Geld. „Sie gehen jetzt mit sauberer Schuluniform und schönen Schuhen zum Unterricht“, erzählt er stolz. Außerdem hat er für sie einen Fernseher, einen DVD-Spieler und einen Decoder gekauft. Arm fühlt er sich nicht mehr. Sondern dankbar.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-04-20

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