Rückblick auf ein verbindendes Erlebnis
Gestern vor 33 Jahren, am 9. November 1989, ging die Berliner Mauer in die Brüche. Deutsche Erzkommunisten hatten den Bau im August 1961 angeblich als Schutzwall gegen den dekadenten West-Kapitalismus und als Sperre gegen eigene Bürger errichtet. Zur gleichen Zeit im November 1989 wurden in Windhoek die Stimmen der ersten international überwachten Wahl ausgezählt, aus der die verfassunggebende Versammlung hervorging und damit der Weg in die namibische Souveränität am 21. März 1990 gebahnt war. - Soviel zum deutsch-namibischen Allgemeinwissen.
Genauso, wie viele Leute sich die namibische Unabhängigkeit noch nicht vorstellen konnten, so war es trotz der Massendemonstrationen in Leipzig, Chemnitz/Karl Marx Stadt und anderen Städten der DDR mit dem Ausruf „Wir sind das Volk“ Anfang November 1989 noch total unvorstellbar, dass die Berliner Mauer, Brennpunkt der Trennung im Kalten Krieg, einstürzen könnte. Aber irgendwie lagen Wandel und Veränderung in der Luft, denn so um den 7. Oktober 1989 herum, gerade einen Monat vor dem Mauerfall, als der DDR-Vertreter Dr. Georg Schleicher in Klein Winhoek zum Nachmittagsempfang der Jubiläumsfeier „40 Jahre DDR“ in die Stein-Straße geladen hatte, erhielten er und seine Gattin beim Handgruß 'nen überraschenden Glückwunsch. Der Windhoeker Ratsherr Günther Kaschik sprach in etwa von „alles Gute zum 40. Jubiläum ...“, hob dann jedoch den Finger zur Betonung und mit Nachdruck: „Aber nicht noch 40 Jahre!“
Wahrscheinlich hat Kaschik es sich selbst nicht vorstellen können, dass es in einem Monat schon so weit sein würde, dass das angebrochene fünfte Jahrzehnt der DDR auch ihr Abbruch sein würde, dazu noch friedlich. Einer der zwei DDR-Ferrnsehjournalisten mit Namen Schneider und Ackermann, die im Wahl-Pressezentrum der Turnhalle in Windhoek ein- und ausgingen, konnte am 9. November 1989 die Nachricht des Mauerlochs in Berlin aus den namibischen Nachrichten noch nicht glauben. Die Telex- und Telefonleute von der damaligen Post in der Turnhalle brachten es fertig, ihn mit seiner Wohnung und Familie in Ostberlin telefonisch zu verbinden, nach etwas Gesökkel von ca. 20 Minuten. Mit großen Augen kam der Mann wieder aus der Telefonecke. Er hatte die Bestätigung der Nachricht erfahren. Seine 18-jährigen Tochter hatte ihm nur eins zu sagen: „Mensch, Papa, HIER musst Du jetzt sein!“
Eine Berlinerin hat den nächtlichen Durchbruch in echtem Idiom auf den Punkt gebracht. Überhaupt gibt es noch eine überragende Frauenstimme aus der deutschen Hauptstadt, die sich Anonyma nannte. Sie führte gewissenhaft, anschaulich und nüchtern, sogar mit einem Augenzwinkern, ihr Tagebuch von April bis Juni 1945, zwischen Luftschutzkeller und Ruinen, Hungersnot und Schändung der Frauen durch russische Besatzer. Darauf müssen wir einmal zurückkommen, vor allem vor dem Hintergrund des Tagebuchs einer Cissy Willich, die den Vormarsch der südafrikanischen Truppen 1914/15 in Deutsch-Südwestafrika bis nach der Kapitulation der Schutztruppe auf Khorab sozusagen aus dem emotionalen Wechselbad geschildert hat.
Nach Katastrophen gibt es Lichtblicke wie der malerische Grünstreifen durch Berlin, anstelle der Mauer.
Wat 'n Wahnsinn!
Berlin am 9. November 1989
Kann det wahr sein, stimmt det ooch?
De „Friedensmauer“ hat 'n Loch?
Mein Radio und det Fernseh'n hallt,
von Ost nach West wird umjeschalt't.
Dazwischen rauß uff 'n Balkon -
der Ku'damm is noch leer;
doch wenn det wahr is, glob' ick schon,
komm 'se zuerst hier her.
Und wirklich, det is kaum zu jlob'n:
Een Trabbi fährt den Ku'damm lang!
Jetzt hält mich aber nischt mehr ob'n,
jetzt muß ick runter, mittenmang.
Kaum bin ick unten, es is doll:
Der Ku'damm is uff eenmal voll,
de Trabbis komm' in Dreierreih'n,
zich Menschen jubeln, heuln und schrein.
Der Eene hockt sich uff'n Boden
und faßt det Ku'dammpflaster an:
„Mensch kneif mir mal, ick kann's nich jlob'n,
det icke hier mal loofen kann!“
Kein Sporttag und keen Kirchentag
hat det fertigjebracht,
die Liebe und die Eintracht
in dieser Wahnsinnsnacht.
Um fünwe kann ick nu nich mehr.
Der Ku'damm brodelt weiter.
Ick war dabei in't Jubelmeer,
bei Weltjeschichte – diesmal heiter!
Selbstverfasst von Ingetraud Sons
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Genauso, wie viele Leute sich die namibische Unabhängigkeit noch nicht vorstellen konnten, so war es trotz der Massendemonstrationen in Leipzig, Chemnitz/Karl Marx Stadt und anderen Städten der DDR mit dem Ausruf „Wir sind das Volk“ Anfang November 1989 noch total unvorstellbar, dass die Berliner Mauer, Brennpunkt der Trennung im Kalten Krieg, einstürzen könnte. Aber irgendwie lagen Wandel und Veränderung in der Luft, denn so um den 7. Oktober 1989 herum, gerade einen Monat vor dem Mauerfall, als der DDR-Vertreter Dr. Georg Schleicher in Klein Winhoek zum Nachmittagsempfang der Jubiläumsfeier „40 Jahre DDR“ in die Stein-Straße geladen hatte, erhielten er und seine Gattin beim Handgruß 'nen überraschenden Glückwunsch. Der Windhoeker Ratsherr Günther Kaschik sprach in etwa von „alles Gute zum 40. Jubiläum ...“, hob dann jedoch den Finger zur Betonung und mit Nachdruck: „Aber nicht noch 40 Jahre!“
Wahrscheinlich hat Kaschik es sich selbst nicht vorstellen können, dass es in einem Monat schon so weit sein würde, dass das angebrochene fünfte Jahrzehnt der DDR auch ihr Abbruch sein würde, dazu noch friedlich. Einer der zwei DDR-Ferrnsehjournalisten mit Namen Schneider und Ackermann, die im Wahl-Pressezentrum der Turnhalle in Windhoek ein- und ausgingen, konnte am 9. November 1989 die Nachricht des Mauerlochs in Berlin aus den namibischen Nachrichten noch nicht glauben. Die Telex- und Telefonleute von der damaligen Post in der Turnhalle brachten es fertig, ihn mit seiner Wohnung und Familie in Ostberlin telefonisch zu verbinden, nach etwas Gesökkel von ca. 20 Minuten. Mit großen Augen kam der Mann wieder aus der Telefonecke. Er hatte die Bestätigung der Nachricht erfahren. Seine 18-jährigen Tochter hatte ihm nur eins zu sagen: „Mensch, Papa, HIER musst Du jetzt sein!“
Eine Berlinerin hat den nächtlichen Durchbruch in echtem Idiom auf den Punkt gebracht. Überhaupt gibt es noch eine überragende Frauenstimme aus der deutschen Hauptstadt, die sich Anonyma nannte. Sie führte gewissenhaft, anschaulich und nüchtern, sogar mit einem Augenzwinkern, ihr Tagebuch von April bis Juni 1945, zwischen Luftschutzkeller und Ruinen, Hungersnot und Schändung der Frauen durch russische Besatzer. Darauf müssen wir einmal zurückkommen, vor allem vor dem Hintergrund des Tagebuchs einer Cissy Willich, die den Vormarsch der südafrikanischen Truppen 1914/15 in Deutsch-Südwestafrika bis nach der Kapitulation der Schutztruppe auf Khorab sozusagen aus dem emotionalen Wechselbad geschildert hat.
Nach Katastrophen gibt es Lichtblicke wie der malerische Grünstreifen durch Berlin, anstelle der Mauer.
Wat 'n Wahnsinn!
Berlin am 9. November 1989
Kann det wahr sein, stimmt det ooch?
De „Friedensmauer“ hat 'n Loch?
Mein Radio und det Fernseh'n hallt,
von Ost nach West wird umjeschalt't.
Dazwischen rauß uff 'n Balkon -
der Ku'damm is noch leer;
doch wenn det wahr is, glob' ick schon,
komm 'se zuerst hier her.
Und wirklich, det is kaum zu jlob'n:
Een Trabbi fährt den Ku'damm lang!
Jetzt hält mich aber nischt mehr ob'n,
jetzt muß ick runter, mittenmang.
Kaum bin ick unten, es is doll:
Der Ku'damm is uff eenmal voll,
de Trabbis komm' in Dreierreih'n,
zich Menschen jubeln, heuln und schrein.
Der Eene hockt sich uff'n Boden
und faßt det Ku'dammpflaster an:
„Mensch kneif mir mal, ick kann's nich jlob'n,
det icke hier mal loofen kann!“
Kein Sporttag und keen Kirchentag
hat det fertigjebracht,
die Liebe und die Eintracht
in dieser Wahnsinnsnacht.
Um fünwe kann ick nu nich mehr.
Der Ku'damm brodelt weiter.
Ick war dabei in't Jubelmeer,
bei Weltjeschichte – diesmal heiter!
Selbstverfasst von Ingetraud Sons
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Kommentar
Allgemeine Zeitung
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