Loading svg Please wait while we translate the article

Krieg und Frieden zwischen Witbooi und Leutwein

Reichskanzler Leo Graf von Caprivi hatte Theodor Leutwein im November 1893 aufgefordert, mit Landeshauptmann Curt von Francois in Deutsch-Südwestafrika Verbindung aufzunehmen. Der Reichskanzler erteilte Leutwein den Auftrag, ihm über die aktuelle Sachlage im Schutzgebiet, militärisch und administrativ, Bericht zu erstatten. Die Verbindungen mit von Francois kamen Von Caprivi „spärlich und unsicher" vor. Leutwein traf am 1. Januar 1894 im Land ein. Von Francois kehrte in dem Jahr nach Deutschland zurück.
Eberhard Hofmann
Getrennte Schrift über Witbooi

Obwohl Leutwein in seinen Memoiren „Elf Jahre Gouverneur in Deutsch-Südwestafrika“, erschienen 1906, sowohl die Kämpfe gegen Witbooi als auch die Friedensjahre 1894 – 1904 mit dem Namaführer schildert, hatte er offensichtlich das Bedürfnis, sein besonderes Verhältnis mit Hendrik Witbooi noch einmal getrennt und ausführlich mitzuteilen. Daher hat er 1911 nicht nur die Belagerung und die Gefechte in der Naukluft 1894 detailliert geschildert, sondern auch ein einfühlsames Charakterbild, gar ein Psychogramm des legendären Nama-Führers erstellt, der auch in Tagebüchern anderer Offiziere und in Schriften des damaligen Kaufmanns Gutstav Voigts mit Respekt und Anerkennung beschrieben wird.

Es ist ein Verdienst des Verlegers der vorliegenden überarbeiteten Ausgabe, Bernd Kroemer, dass er das eher zufällig auf einem Flohmarkt aufgegriffene antiquarische Exemplar ernstgenommen und nun als authentische Quelle der interessierten Leserschaft zugänglich macht.

In einer Zeit, da im Zuge der Genozid-Debatten und der Agitation für Reparation die pauschalisierte Dämonisierung der deutschen Kolonialsoldaten gang und gäbe ist, bleibt es hilfreich, Stimmen dieser zwei lange befreundeten und dann wieder verfeindeten Zeitgenossen im Original zu vernehmen. Da bietet die Korrespondenz zwischen Leutwein und Witbooi besonderen Einnblick, als sie sich 1894 rund vier Monate in und vor der Naukluft gegenüberlagen: Witbooi mit Kriegern, Frauen und Kindern sowie Viehherden in den Klüften, Leutwein mit verschiedenen Posten vor dem Gebirge.

Eine „goldene Brücke“

Der heutige Leser ist über den überaus höflichen, ja ehrerbietigen Ton der Anrede der bewaffneten Gegner erstaunt, die dann im neuntägigen Gebirgskrieg dennoch zu Waffengewalt übergehen. Leutwein drängt darauf, dass sich der gegen den erwünschten Schutzvertrag sträubende Witbooi schließlich der Unterwerfung vor dem Kaiser zu beugen habe. Und „um seine bis jetzt lediglich an Jagd, Krieg und Raub gewöhnten Leute zur Friedensarbeit zu erziehen“. Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden entscheidet sich Leutwein, seinem Gegner in einem günstigen Friedens-, bzw. Schutzvertrag eine „goldene Brücke“ zu bieten, anstatt Vernichtung des Gegners anzustreben, der in der Naukluft noch lange geschickt ausweichen würde. Witbooi ist darauf eingegangen. Selbige Verhandlungsbereitschaft hat Leutwein 1904 auch den Herero anbieten wollen, aber der Oberbefehl lag bereits bei General von Trotha, der jeglichen Verhandlungsweg zur Beendigung des Krieges rundheraus abgelehnt hat.

Leutwein versteht sich durchweg als Amtmann der Ordnungsmacht, die Witbooi wiederholt hinterfragt: „Was ist Schutz? Wovor wird beschützt? Vor welcher Gefahr, Mühseligkeit und Not wird ein Oberhaupt von einem anderen Oberhaupt geschützt? Die Sache erscheint mir wunderlich.“ Leutwein hat es als seine Sache angesehen, 500 Rinder, die der Nama-Kaptein Eduard Lambert den Betschuanen geraubt hatte, an den Stamm zurück zu besorgen.

Der militärisch geschulte Leutwein bewundert wiederholt Witboois taktisches Geschick, erkennt aber laufend auch, wie sich afrikanische und europäische Kriegführung voneinander unterscheiden. Er hält seinen Gegner für einen „vollendeten Meister in Lieferung von Rückzugsgefechten sowie in der Deckung seiner Werft“. In der Kleinkriegführung mit Versteck, Überfall, Hinterhalt, Deckung und Wegnahme eines Transports – was man heute Guerilla-Krieg nennt – bescheinigt Leutwein dem Witbooi-Kaptein Talent und Fähigkeit, die „auch europäischen Offizieren als Muster dienen“ könnten.

Zehn Jahre Waffenbrüdershaft mit der Schutztruppe

Witbooi hat die Schutztruppe, die in den Jahren 1894 bis 1904 aus lediglich 500 bis 700 Mann bestand, bei mehreren Gefechten gegen Aufständische mit jeweils 100 bis 200 Mann unterstützt und verstärkt. Er ermöglichte der Truppe, bis 1904 „Herr im Lande zu bleiben“, so Leutwein. Aber beim allgemeinen Herero- und Nama-Aufstand ab 1904 – 1906 hatte die Schutztruppe selbst mit mittlerweile 15 000 Mann „Mühe, die Ordnung wieder herzustellen“.

Auf dem Kriegsschauplatz am Waterberg im August 1904 befanden sich im Auftrag Hendrik Witboois auf deutscher Seite noch 80 bewaffnete Mann Witboois, die seit Juni 1904 nunmehr unter dem Befehl von General von Trotha standen. Als Leutwein das Kommando an von Trotha abgegeben hatte, kam eine Deputation der Witboois „mit der Anfrage zu mir, ob sie jetzt nicht auch zurückgehen dürften, denn sie hätten nur mit mir Vertrag“. Leutwein beruhigte sie, er werde bald wiederkommen. Als Hendrik Witbooi Anfang Oktober 1904 im Süden losschlägt, wird ihnen ihre Treue zur deutschen Seite „zum tragischen Verhängnis“, wie Leutwein sich ausdrückt. Als Angehörige Witboois werden sie sofort entwaffnet und nunmehr als Gefangene ,,nach Togo überführt“. Im Nachhinein sinniert Leutwein, wie er es besser hätte machen können, um die Witboois beizeiten nach Hause zu schicken.

Hendrik Witbooi erhält im Gefecht von Vaalgras am 10. Oktober 1905 eine tödliche Kugel und stirbt drei Tage später. Leutwein macht sich viele Gedanken über die Gründe, die den 80-jährigen Witbooi zum Aufstand bewegt haben. Er empfindet es tröstlich, dass sein Freund und Widersacher den Soldatentod gefunden hat, denn bei Gefangennahme hätte ihm der Galgen gedroht. Der Militärbefehl hatte Witbooi zuvor noch die Krieger-Verdienst-Medaille erster Klasse in Gold verliehen.

Diese aufschlussreiche Schrift des ehemaligen Gouverneurs Leutwein trägt wesentlich zum differenzierten Verständnis der komplexen Verhältnisse 1894 – 1905 bei. Eberhard Hofmann

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-05-16

Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu hinterlassen