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Leopard in einer Höhle liegend (ca. 1909)
Leopard in einer Höhle liegend (ca. 1909)

Blauer Diamant

50. Folge
50. Folge

Der Mond stand jetzt hoch am Himmel, das Feuer wärmte mich zwar vorn, aber mein Hinterteil wurde empfindlich kalt. Irgendwann wurden wir alle müde. Ein nächtlicher Ansitz war nicht vorgesehen, wenn auch die Dämmerung eine gute Zeit für die Jagd gewesen wäre. Also wurden die Angestellten zur Wache eingeteilt mit der Anweisung, auf das Feuer aufzupassen und uns sofort zu wecken, sollten sie etwas Ungewöhnliches beobachten. Ich zog mich als Erster in unser Zelt zurück, suchte den Boden und die Schlafsäcke nach Skorpionen ab und wickelte mich, vollständig angezogen in meine Decke, nachdem ich das Zelt sorgfältig zugeknöpft hatte.

Die Nächte waren um diese Jahreszeit wieder ziemlich kalt. Wir hätten unser Zelt in der Hütte aufstellen sollen! Alexander war nicht mehr auf mich zugekommen und er schien, so hatte ich den Eindruck, die angesprochene Geschichte auf sich beruhenzulassen. Wahrscheinlich war er der Ansicht, seine deutliche Drohung mir gegenüber würde ihre Wirkung nicht verfehlen. Damit hatte er nicht ganz Unrecht. Vielleicht wusste er aber auch tatsächlich nicht so viel, wie ich befürchtet hatte und er erging sich nur in Vermutungen. Ich war jedenfalls etwas beruhigt.

Nach einer Weile erschienen auch die anderen im Zelt. Ich lag noch eine Weile wach und horchte auf die näheren und entfernteren Stimmen der Wildnis, die in der ungewöhnlichen nächtlichen Stille überdeutlich wahrzunehmen waren. Für mich war es ja die erste Nacht in einem Zelt weitab der Zivilisation. Es war doch anders als in meinem soliden Store in der Nähe des Camps. Heute war ich froh, dass ich nicht allein war. Unmerklich bin ich dann irgendwann eingeschlafen.

Am folgenden Morgen wurde ich um 6 Uhr durch das Rumoren der anderen Jagdgenossen geweckt. Lust zum Aufstehen hatte ich eigentlich noch nicht, es war doch spät gewesen und dann der Whisky! Außerdem bin ich generell kein Frühaufsteher. An meinen freien Tagen bleibe ich gern etwas länger im Bett. Aber heute half es nichts. Als Benjamin in dieser Runde älterer, erfahrener Jäger musste ich mich anpassen. Nun war diese Nacht im Schlafsack allerdings sehr unbequem gewesen, Rücken und Schultern taten mir weh.

Dadurch fiel mir das Aufstehen etwas leichter. Meine Jagdgenossen waren bereits putzmunter. Ich habe mich früher schon immer gewundert, wie manche Menschen in der Frühe des anbrechenden Tages bereits so hellwach und geschäftig sein konnten. Hier hatte ich es nur mit solchen Typen zu tun. Alexander Winter drängte darauf, möglichst schnell aufzubrechen. Unser Ziel war heute Vormittag eine etwas entferntere Wasserstelle. Dort würde man auf zahlreicheres Wild stoßen.

Als ich endlich aus dem Zelt kam, war der Kaffee bereits fertig und alle übrigen bereits draußen und fast fertig mit frühstücken. Ich beeilte mich. Anschließend wurde das Feuer gelöscht und die Zelte abgebaut und eingerollt. Der Deukerbock war inzwischen ausgeweidet und das Fell samt Kopf und Extremitäten als Trophäe zur späteren Mitnahme auf dem Rückweg abgezogen und in der Hütte verstaut. Die Eingeweide lagen abseits auf einem Haufen und war zum Anlocken von Raubkatzen gedacht, nach denen wir auf dem Rückweg sehen wollten. Vielleicht würden wir dann den Leopard erwischen. Einer der Helfer er hielt den Auftrag, das Essen vorzubereiten und dafür zu sorgen, dass das Feuer brannte, wenn wir zurückkamen, damit er sofort die Steaks braten konnte. Wir ritten eine längere Zeit parallel zum Bergmassiv und erreichten endlich die angestrebte Wasserstelle. Es war ein Wasserloch von zurzeit etwa 100 Metern Durchmesser, das vom aus den Bergen ablaufenden Regenwasser gespeist wurde. Offensichtlich eine Vertiefung mit felsigem Untergrund, so dass das Wasser nicht im Boden versickern konnte. Die vielen Fußspuren zeigten, dass sich das Wild hier ein Stelldichein gab. Heute Vormittag waren nur ein paar Tiere zu sehen. Die drei anderen Jäger nahmen ihr Fernglas und suchten die weitere Gegend nach Löwen und anderen Wildkatzen ab. Zu dumm, ich

hatte zwar auch ein Fernglas, aber das lag in meinem Zimmer bei Breuers. Für das nächste Mal werde ich mir eine Checkliste machen. Wie konnte man nur ohne Fernglas auf die Jagd gehen!

Nachdem keine Löwen zu sehen waren und somit keine akute Gefahr drohte, gab mir Herr Breuer sein Glas. „Sehen Sie“, sagte er zu mir, „Dahinten rechts, das Tier mit den nach oben verdrehten Hörnern, das ist ein Hartebeest und etwas weiter links daneben, die mit den nach außen gedrehten Hörnern, das sind Kudus. Und noch weiter links, die, die gerade die Wasserstelle verlassen, mit den langen geraden Hörnern und den eigenartig wirkenden senkrechten, über die Augen laufenden schwarzen Streifen, das sind Gemsböcke. Sie sehen hier etwas anders aus als in den heimatlichen Alpen. Hier ist alles ein wenig anders.“

Julias Mann wurde ungeduldig. „Lasst uns zurückreiten und den Leopard suchen. Er wird sein Revier bestimmt nicht verlassen haben. Hier tut sich ja im Moment doch nichts, was Wildkatzen anbelangt.“ Alle waren mit seinem Vorschlag einverstanden und so machten wir uns auf den Rückweg zu unserem Lagerplatz an der Hütte. Dort angekommen, legte unser schwarzer Koch die Steaks in die Pfanne und wir tranken alle als Aperitif ein Glas Whisky. Julias Mann hatte noch eine dritte Flasche Whisky in seinem Fundus gehabt. Die Steaks waren hervorragend und der Koch wurde entsprechend gelobt. Und dann gab es als Digestif noch einen Whisky und einen dritten als Zielwasser für die jetzt bevorstehende Jagd auf den Leopard. Eine eigenartige Jagdgesellschaft. Doch wieder mehr eine Herrenpartie, dachte ich mir.

Die Pferde wurden gesattelt, die Gewehre überprüft und unser ärztlicher Beistand Dr. Pahl nahm noch sein Verbandspaket mit. Deswegen wurde er von den anderen ein wenig belächelt. Alexander fragte ihn: „Na Doktor, wollen Sie den Leopard später verbinden, wenn ich ihn erwischt habe? Das lohnt sich nicht. Ich werde aus ihm sowieso einen Kaminvorleger machen.“

Aber derartige Frotzeleien machten Dr. Pahl nichts aus. Er kannte das. „Wenn ihr alle wie ich im Krieg die vielen Verletzungen gesehen hättet, wärt ihr auch vorsichtig geworden. Hatten damals nicht genügend Verbandszeug und es gab verdammt viele Infektionen. Habe auch nach dem Krieg schon einmal einem verunglückten Ochsengespannführer helfen können, als ich zufällig vorbei kam. Der Wagen war umgekippt und der Mann mit dem Kopf aufgeschlagen. Sah gar nicht gut aus. Habe es mir als Arzt zur generellen Gewohnheit gemacht, wohin ich auch reite, immer ein Notpäckchen Verbandszeug und eine Beruhigungsspritze mitzunehmen.“ „Sehr lobenswert, Doktor, dann kann uns ja nichts passieren, aber zur Beruhigung nehme ich lieber zwei Whisky, als eine Spritze.“ Ironie klang aus Winters Kommentar.

Wir machten uns auf den Weg zu der Stelle, wo wir gestern die Losung des Leopards gefunden hatten. Heute lagen dort nur die inzwischen vertrockneten Reste von gestern, aber kein frischer Haufen. Doch das musste nichts bedeuten. Im Gänsemarsch ritten wir zunächst in den Taleinschnitt, den ich gestern

inspizieren sollte, es mir aber verkniffen hatte. Voran natürlich Julias Mann, das entsicherte Gewehr in Bereitschaft. Die Blicke waren suchend auf den Boden gerichtet. Ich bildete den Schluss, das heißt, nach mir kamen noch unsere vier Begleiter.

Es war windstill, die Sonne schien in unser Tal und uns wurde warm. Die steilen Felsen reflektierten die Wärme. Die Augen auf den Boden gerichtet, suchten wir nach Spuren unseres potentiellen Opfers. Dabei ritten wir dicht an einer Felswand mit vielen Vorsprüngen, auf denen teilweise sogar Büsche wuchsen, wie ich es gestern schon gesehen hatte. Ich ließ meine Blicke schweifen und bewunderte die Natur. Nach Spuren suchten ja vor mir die erfahrenen Jäger. Es ist erstaunlich, dachte ich, wie genügsam manche Pflanzen sind. Selbst aus den kleinsten Felsspalten wuchsen Büsche heraus. Nichts war auf dem felsigen Weg zu sehen. Von vorn rief Julias Mann spöttisch: „Was habt ihr denn gestern hier gefunden? Die Losung von einer Maus?“ Empört ob dieser Unterstellung wollte ich etwas Passendes erwidern, da sah ich von meiner Position am Ende der Gruppe im selben Moment vorn oben auf einem mit einem kleinen Busch bewachsenen Felsvorsprung in etwa vier bis fünf Metern Höhe eine Bewegung und einen gefleckten Körper. Ich rief intuitiv noch: „Achtung! Da oben!“ Aber in diesem Augenblick sauste der Leopard bereits mit einem Fauchen und gefletschten Zähnen auf den vordersten Reiter herunter. Das Pferd bäumte sich instinktiv mit einem Wiehern auf und machte eine seitliche Bewegung, während Julias Mann versuchte, sich im Sattel zu halten. Sein Gewehr flog durch die Luft, als der Leopard ihn gerade noch mit nach vorn ausgestreckten Pranken am Kopf streifte. In dieser Sekunde fiel mir die Warnung durch meine Ohrgeräusche vor ein paar Wochen vor einem Leopard ein.

Es war offensichtlich doch etwas dran, an der mystischen Mitteilung! Nur, dass es glücklicherweise nicht mich betroffen hatte. Der Leopard hatte sich wohl geirrt. Durch den wuchtigen Anprall wurde Alexander aus dem Sattel geworfen und landete hart auf dem Boden. Bevor ich überhaupt die Situation richtig erfasst hatte, schoss unser Arzt geistesgegenwärtig, als der Leopard gerade davon laufen wollte und traf ihn mitten im Sprung. Dr. Pahl war, wie ich jetzt feststellte, auch ein hervorragender Schütze. Fast ohne zeitliche Verzögerung hatte er die Situation erkannt, das Gewehr hochgerissen und im gleichen Moment auch schon geschossen. Seine Kriegserfahrung kam ihm wohl zugute und hatte seine Reaktionsgeschwindigkeit trainiert. Der Leopard überschlug sich zwei- dreimal und blieb reglos liegen. Doch für Julias Mann war es trotzdem zu spät, auch er lag reglos mit dem Gesicht auf dem Boden. Wir sprangen von den Pferden und stürzten zu ihm. Er schrie nicht vor Schmerz, er stöhnte nur leise vor sich hin. Der Schmerz und der Schock hatten wohl die Schmerzempfindung blockiert. Als wir ihn vorsichtig umdrehten, bot sich uns ein grausames Bild. Er sah schrecklich aus. Das ganze Gesicht war blutüberströmt. Der Leopard hatte ihn mit seiner ausgestreckten Pranke am Kopf erwischt und mit den Krallen praktisch die rechte Gesichtshälfte weggerissen. Offensichtlich hatte er im letzten Moment noch nach oben geschaut und dem Leopard das Gesicht zugewandt. So wie es aussah, war auch das rechte Auge verletzt und die rechte Seite der Nase aufgerissen. Hätte ich nur nicht gerufen, vielleicht wäre er dann glimpflicher davongekommen. Ich machte mir jetzt Vorwürfe. Aber es war ein spontaner Schreckensschrei, der mir unwillkürlich entfahren war. Das wäre sicher auch jedem anderen passiert.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2025-06-22

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