Blauer Diamant
„Blauer Diamant" ist ein detailreicher und lesenswerter Roman über den Lebensweg eines Einwanderers in Deutsch-Südwestafrika zur Zeit der großen Diamantenfunde. Lassen Sie sich in das Jahr 1909 versetzen und fahren mit Willy, der Hauptperson dieses Romans, nach Südwestafrika nach Lüderitzbucht. In der Nähe hatte man Diamanten entdeckt. Wer ist die schöne Fremde auf dem Schiff Windhuk? Kann der reiche Diamanthändler Alexander Winter, Besitzer der Farm BLAUER DIAMANT, mit seinem von einem Leoparden entstellten Gesicht psychisch fertig werden? Wie war das beim Bau der Bahntrasse von Windhoek nach Keetmanshoop und wie heilte der Medizinmann Willy?
45. Folge
Inzwischen hatte ich meinen Store in seiner Funktion auch etwas erweitert. Meine Erfahrung mit dem Ausschank zu Hause kam mir jetzt zugute, denn man macht mehr Gewinn, wenn man den Schnaps nicht flaschen- sondern glasweise verkauft. Ich brauchte meiner Firma gegenüber nur die Flaschen abzurechnen, alles andere interessierte nicht. Also betrieb ich nun neben dem Verkauf von Waren des täglichen Bedarfs auch einen Alkoholausschank. Ich handhabte es hier ebenso wie damals zu Hause, die Kunden konnten bis zu einer gewissen Grenze anschreiben lassen. Damit brauchte auch meine Ablösung nicht zu kassieren.
Die Arbeiter hatten aus Brettern und Kanthölzern vier Bänke und zwei Tische gezimmert, die vor dem Store standen und so spielte sich das gesellige Leben häufig direkt vor meinem Store ab.
Allerdings gab es nach Absprache mit Chefingenieur Wagner Alkohol mit Ausnahme besonderer Anlässe erst nach Feierabend und ich achtete auch darauf, dass es nicht zu Problemen durch übermäßigen Alkoholgenuss kam. Denn dann hätte ich mir eventuell Schwierigkeiten eingehandelt und das wollte ich auf jeden Fall vermeiden.
Ein Problem war in diesem Zusammenhang das Kühlen des Bieres. Einen Kühlschrank hatte ich aus verständlichen Gründen hier draußen nicht. Ich wickelte deshalb immer etliche Bierflaschen in nasse Säcke und legte sie in meine Zinkwanne. Durch die Verdunstungskälte bekam das Bier eine angenehme Trinktemperatur. Je wärmer es war, umso größer die Verdunstungskälte und entsprechend kühler das Bier. So hatte schon Julia den Champagner gekühlt!
Wagner kippte den Whisky hinunter und bestellte noch einmal dasselbe.
„Wie geht es voran? Sie sehen irgendwie unzufrieden aus“, wollte ich wissen.
„Nein, mich schmerzt im Moment nur der Insektenstich ziemlich fürchterlich. Mit unserer Arbeit liegen wir bis jetzt voll im Zeitplan. Wenn nichts Außergewöhnliches passiert, sind wir vielleicht sogar etwas schneller und können eine Prämie kassieren. Übrigens, Sie können sich von dem Holz, das wir beim Trassenbau einschlagen, bedienen. Ich lasse es in eine zum Heizen verwendbare Größe zersägen.“ Er verzog das Gesicht und kratzte an seinem Bein.
„An Ihrer Stelle würde ich damit doch sofort einen Arzt aufsuchen“, kam ich auf seinen Insektenstich zurück.
„Das wäre sicher das Beste, aber wie soll ich jetzt nach Windhuk kommen?“
Das war eine berechtigte Frage.
Medizinmann soll helfen
„Wie das immer so ist, ausgerechnet jetzt streikt mal wieder der Dieselmotor unserer Draisine. Diese Motoren sind immer noch zu anfällig und unsere Materialzuglok extra anheizen ist zu aufwendig. Außerdem kann ich im Moment hier auch nicht weg. Ich muss unbedingt den nächsten Abschnitt der Trasse vermessen, damit wir vorankommen. Dazu müssen wir auch noch eine Felsnase wegsprengen. Doch das können wir erst in zwei Tagen machen, der Sprengmeister muss morgen zunächst einmal die Löcher bohren. Heute und morgen sind noch Schienen zu verlegen und danach liegen erst einmal weitere vorbereitende Arbeiten an. Deshalb habe ich den schwarzen Karl zu einem Medizinmann hier in der Nähe geschickt, der kommt heute Nachmittag. Als ich letztens hohes Fieber hatte, hat er mich schon einmal behandelt und das Fieber ganz schnell in den Griff bekommen. Ich bin immer wieder erstaunt, was die Medizinmänner für Kenntnisse über Naturheilmittel besitzen. Ich war ja schon beim Bau der Strecke Lüderitzbucht-Keetmannshoop dabei und habe damals bereits gute Erfahrungen mit einem Medizinmann gemacht.“
Er sah, dass ich immer noch etwas skeptisch war.
„Glauben Sie mir, es ist wirklich erstaunlich, was der kann. Bei uns in Deutschland werden ja auch viele Kräuter und Kräuterextrakte als Medizin von Ärzten und Heilkundigen verwendet. Hier in Afrika ist die Flora noch wesentlich vielfältiger, also gibt es auch viel mehr Möglichkeiten und auch die Fauna liefert einiges dazu. Zum Beispiel Schlangengift. Vor allem, unterschätzen Sie die Schwarzen nicht. Wir sind zwar technologisch viel weiter, keine Frage, wenn man hier überhaupt von Technologie sprechen kann und sie würden hier ohne uns auch weiterhin wie in der Steinzeit leben, aber die Medizinmänner wissen aufgrund jahrhundertelanger Erfahrungen eine ganze Menge und kennen sich in der hiesigen Pflanzen- und Tierwelt bestens aus. Allerdings verstehen sie es ausgezeichnet, alles mit einem furchteinflößenden Brimborium zu garnieren. Bei uns in Deutschland wird immer abfällig von primitiven Eingeborenen gesprochen, die nur für niedere Arbeiten brauchbar wären. Aber wenn man, wie wir hier draußen, ständig mit ihnen zu tun hat und Neuem aufgeschlossen ist, ändert man bald seine Meinung. Man muss natürlich dazu auch bereit sein. Selbstverständlich gibt es faule Hunde unter den Schwarzen, aber die finden Sie unter den Weißen ebenso. Es gibt auch ganz gelehrige und wissbegierige Einheimische. Habe ich alles schon erlebt. Ich bin ja auch schon länger hier als Sie.“
Ich war überrascht, wie positiv er von den Eingeborenen sprach, die doch von den meisten Europäern als Menschen zweiter Klasse angesehen wurden. Es war wohl die persönliche Erfahrung.
Er sah mich kritisch an und meinte plötzlich: „Sie sehen mir heute aber müde aus.“
Ich erzählte ihm von meinem Problem mit den lästigen Ohrgeräuschen, die mich neuerdings nachts schlecht schlafen ließen.
„Das Beste wäre, ich würde damit auch einmal einen Arzt konsultieren, aber ich kann hier genauso wenig weg wie Sie“, erklärte ich.
Wagner meinte: „Soviel ich weiß, sind Ohrgeräusche, wenn es denn ein echtes Ohrensausen sein sollte, kaum heilbar. Es kommt und geht, wann es will. Vielleicht ist auch nur Ihr Blutdruck etwas durcheinander. Eventuell kann Ihnen in diesem Fall, wo diese Töne doch nicht ständig auftreten, der Medizinmann helfen. Es ist manchmal erstaunlich, was die Naturmedizin vermag und auf jeden Fall einen Versuch wert. Kommen Sie doch einfach heute Nachmittag zu uns herüber, wenn der Medizinmann da ist und erzählen Sie ihm von Ihrem Problem. Vielleicht kann er Ihnen helfen.“
Damit verabschiedete er sich. Ich wunderte mich über seine Einstellung zu den Schwarzen und auch darüber, wie sehr er von den Künsten des Medizinmannes angetan war. Ich war da skeptisch.
Um 17 Uhr schloss ich meinen Store ab und machte mich auf den kurzen Weg ins Camp. Jetzt kam sicher keiner der Gleisarbeiter zu mir, dazu waren sie zu neugierig und wollten sehen, was der Medizinmann anstellte. Der Medizinmann war, als ich eintraf, noch nicht da. Aber verschiedene der Arbeiter waren bereits um Chefingenieur Wagner versammelt und gleich darauf erschien auch der schwarze Karl, zur Unterscheidung vom weißen Karl, einem Vorarbeiter, mit dem Medizinmann. Letzterer hatte sich furchterregend angemalt, jedenfalls war das mein Eindruck. Ich sah hier zum ersten Mal einen Medizinmann in voller Berufsbemalung. Weiße Striche und Punkte im Gesicht und ein Leopardenfell gaben ihm ein diabolisch-exotisches Aussehen. Ich war sehr beeindruckt und gleichzeitig doch sehr skeptisch bei diesem Anblick. Dieser angemalte Wilde sollte fundierte medizinische Kenntnisse besitzen und mir helfen können?
Der Medizinmann befasste sich mit unserem Chefingenieur und legte ihm unter beschwörendem Gemurmel eine durchgekaute Mixtur verschiedener Kräuter auf die entzündete Stelle. Währenddessen wurde der schwarze Karl von Wagner informiert, dass ein weiterer Fall auf seinen Medizinmann wartete und letzterer wandte sich dann mir zu. Ich zeigte auf meine Ohren und machte dazu „bsss, bsss“, wie das Summen einer Fliege. Der schwarze Karl übersetzte dem Medizinmann meine Beschwerden.
Das verursachte im Medizinmann einen Moment intensiven Nachdenkens. Er überlegte wohl, ob er noch einen Termin frei hätte. Nach einer Weile entschied der Medizinmann, die Behandlung meines Leidens am nächsten Nachmittag um die gleiche Zeit vornehmen zu wollen. Ich war einverstanden und gleichzeitig gespannt, was mich am nächsten Tag erwarten würde.
In der Nacht verfolgten mich wilde Träume von bemalten Medizinmännern, die um mich herum tanzten und die wildesten Experimente mit mir durchführten. Mein Ohr wurde abgeschnitten und einer der Medizinmänner bohrte in der Wunde herum. Nachdem er lange in meinem Kopf herumgestochert hatte, zog er plötzlich eine Maus aus meinem Ohr und hielt sie hoch. Das war also des Piepens Lösung. Er reichte die Maus einem zweiten Medizinmann, der sie auf einem Spieß über einem Feuer briet. Dann musste ich den Braten aufessen und der schwarze Karl sagte mir, nun könne die Maus nicht mehr piepen. Inzwischen hatte einer der Medizinmänner mir das abgeschnittene Ohr wieder angenäht. Mitten in diesem Alptraum wachte ich Gott sei Dank auf. Ich machte Licht und sammelte mich. Dann spülte ich den fürchterlichen Traum mit einem doppelten Whisky herunter und nahm zur Sicherheit einen zweiten Doppelten. Den Rest der Nacht überstand ich ohne große Probleme.
Geschichte, Buch, Blauer Diamant, Wilhelm Schneider
Seite 138
Inzwischen hatte ich meinen Store in seiner Funktion auch etwas erweitert. Meine Erfahrung mit dem Ausschank zu Hause kam mir jetzt zugute, denn man macht mehr Gewinn, wenn man den Schnaps nicht flaschen- sondern glasweise verkauft. Ich brauchte meiner Firma gegenüber nur die Flaschen abzurechnen, alles andere interessierte nicht. Also betrieb ich nun neben dem Verkauf von Waren des täglichen Bedarfs auch einen Alkoholausschank. Ich handhabte es hier ebenso wie damals zu Hause, die Kunden konnten bis zu einer gewissen Grenze anschreiben lassen. Damit brauchte auch meine Ablösung nicht zu kassieren.
Die Arbeiter hatten aus Brettern und Kanthölzern vier Bänke und zwei Tische gezimmert, die vor dem Store standen und so spielte sich das gesellige Leben häufig direkt vor meinem Store ab.
Allerdings gab es nach Absprache mit Chefingenieur Wagner Alkohol mit Ausnahme besonderer Anlässe erst nach Feierabend und ich achtete auch darauf, dass es nicht zu Problemen durch übermäßigen Alkoholgenuss kam. Denn dann hätte ich mir eventuell Schwierigkeiten eingehandelt und das wollte ich auf jeden Fall vermeiden.
Ein Problem war in diesem Zusammenhang das Kühlen des Bieres. Einen Kühlschrank hatte ich aus verständlichen Gründen hier draußen nicht. Ich wickelte deshalb immer etliche Bierflaschen in nasse Säcke und legte sie in meine Zinkwanne. Durch die Verdunstungskälte bekam das Bier eine angenehme Trinktemperatur. Je wärmer es war, umso größer die Verdunstungskälte und entsprechend kühler das Bier. So hatte schon Julia den Champagner gekühlt!
Wagner kippte den Whisky hinunter und bestellte noch einmal dasselbe.
„Wie geht es voran? Sie sehen irgendwie unzufrieden aus“, wollte ich wissen.
„Nein, mich schmerzt im Moment nur der Insektenstich ziemlich fürchterlich. Mit unserer Arbeit liegen wir bis jetzt voll im Zeitplan. Wenn nichts Außergewöhnliches passiert, sind wir vielleicht sogar etwas schneller und können eine Prämie kassieren. Übrigens, Sie können sich von dem Holz, das wir beim Trassenbau einschlagen, bedienen. Ich lasse es in eine zum Heizen verwendbare Größe zersägen.“ Er verzog das Gesicht und kratzte an seinem Bein.
„An Ihrer Stelle würde ich damit doch sofort einen Arzt aufsuchen“, kam ich auf seinen Insektenstich zurück.
„Das wäre sicher das Beste, aber wie soll ich jetzt nach Windhuk kommen?“
Das war eine berechtigte Frage.
Medizinmann soll helfen
„Wie das immer so ist, ausgerechnet jetzt streikt mal wieder der Dieselmotor unserer Draisine. Diese Motoren sind immer noch zu anfällig und unsere Materialzuglok extra anheizen ist zu aufwendig. Außerdem kann ich im Moment hier auch nicht weg. Ich muss unbedingt den nächsten Abschnitt der Trasse vermessen, damit wir vorankommen. Dazu müssen wir auch noch eine Felsnase wegsprengen. Doch das können wir erst in zwei Tagen machen, der Sprengmeister muss morgen zunächst einmal die Löcher bohren. Heute und morgen sind noch Schienen zu verlegen und danach liegen erst einmal weitere vorbereitende Arbeiten an. Deshalb habe ich den schwarzen Karl zu einem Medizinmann hier in der Nähe geschickt, der kommt heute Nachmittag. Als ich letztens hohes Fieber hatte, hat er mich schon einmal behandelt und das Fieber ganz schnell in den Griff bekommen. Ich bin immer wieder erstaunt, was die Medizinmänner für Kenntnisse über Naturheilmittel besitzen. Ich war ja schon beim Bau der Strecke Lüderitzbucht-Keetmannshoop dabei und habe damals bereits gute Erfahrungen mit einem Medizinmann gemacht.“
Er sah, dass ich immer noch etwas skeptisch war.
„Glauben Sie mir, es ist wirklich erstaunlich, was der kann. Bei uns in Deutschland werden ja auch viele Kräuter und Kräuterextrakte als Medizin von Ärzten und Heilkundigen verwendet. Hier in Afrika ist die Flora noch wesentlich vielfältiger, also gibt es auch viel mehr Möglichkeiten und auch die Fauna liefert einiges dazu. Zum Beispiel Schlangengift. Vor allem, unterschätzen Sie die Schwarzen nicht. Wir sind zwar technologisch viel weiter, keine Frage, wenn man hier überhaupt von Technologie sprechen kann und sie würden hier ohne uns auch weiterhin wie in der Steinzeit leben, aber die Medizinmänner wissen aufgrund jahrhundertelanger Erfahrungen eine ganze Menge und kennen sich in der hiesigen Pflanzen- und Tierwelt bestens aus. Allerdings verstehen sie es ausgezeichnet, alles mit einem furchteinflößenden Brimborium zu garnieren. Bei uns in Deutschland wird immer abfällig von primitiven Eingeborenen gesprochen, die nur für niedere Arbeiten brauchbar wären. Aber wenn man, wie wir hier draußen, ständig mit ihnen zu tun hat und Neuem aufgeschlossen ist, ändert man bald seine Meinung. Man muss natürlich dazu auch bereit sein. Selbstverständlich gibt es faule Hunde unter den Schwarzen, aber die finden Sie unter den Weißen ebenso. Es gibt auch ganz gelehrige und wissbegierige Einheimische. Habe ich alles schon erlebt. Ich bin ja auch schon länger hier als Sie.“
Ich war überrascht, wie positiv er von den Eingeborenen sprach, die doch von den meisten Europäern als Menschen zweiter Klasse angesehen wurden. Es war wohl die persönliche Erfahrung.
Er sah mich kritisch an und meinte plötzlich: „Sie sehen mir heute aber müde aus.“
Ich erzählte ihm von meinem Problem mit den lästigen Ohrgeräuschen, die mich neuerdings nachts schlecht schlafen ließen.
„Das Beste wäre, ich würde damit auch einmal einen Arzt konsultieren, aber ich kann hier genauso wenig weg wie Sie“, erklärte ich.
Wagner meinte: „Soviel ich weiß, sind Ohrgeräusche, wenn es denn ein echtes Ohrensausen sein sollte, kaum heilbar. Es kommt und geht, wann es will. Vielleicht ist auch nur Ihr Blutdruck etwas durcheinander. Eventuell kann Ihnen in diesem Fall, wo diese Töne doch nicht ständig auftreten, der Medizinmann helfen. Es ist manchmal erstaunlich, was die Naturmedizin vermag und auf jeden Fall einen Versuch wert. Kommen Sie doch einfach heute Nachmittag zu uns herüber, wenn der Medizinmann da ist und erzählen Sie ihm von Ihrem Problem. Vielleicht kann er Ihnen helfen.“
Damit verabschiedete er sich. Ich wunderte mich über seine Einstellung zu den Schwarzen und auch darüber, wie sehr er von den Künsten des Medizinmannes angetan war. Ich war da skeptisch.
Um 17 Uhr schloss ich meinen Store ab und machte mich auf den kurzen Weg ins Camp. Jetzt kam sicher keiner der Gleisarbeiter zu mir, dazu waren sie zu neugierig und wollten sehen, was der Medizinmann anstellte. Der Medizinmann war, als ich eintraf, noch nicht da. Aber verschiedene der Arbeiter waren bereits um Chefingenieur Wagner versammelt und gleich darauf erschien auch der schwarze Karl, zur Unterscheidung vom weißen Karl, einem Vorarbeiter, mit dem Medizinmann. Letzterer hatte sich furchterregend angemalt, jedenfalls war das mein Eindruck. Ich sah hier zum ersten Mal einen Medizinmann in voller Berufsbemalung. Weiße Striche und Punkte im Gesicht und ein Leopardenfell gaben ihm ein diabolisch-exotisches Aussehen. Ich war sehr beeindruckt und gleichzeitig doch sehr skeptisch bei diesem Anblick. Dieser angemalte Wilde sollte fundierte medizinische Kenntnisse besitzen und mir helfen können?
Der Medizinmann befasste sich mit unserem Chefingenieur und legte ihm unter beschwörendem Gemurmel eine durchgekaute Mixtur verschiedener Kräuter auf die entzündete Stelle. Währenddessen wurde der schwarze Karl von Wagner informiert, dass ein weiterer Fall auf seinen Medizinmann wartete und letzterer wandte sich dann mir zu. Ich zeigte auf meine Ohren und machte dazu „bsss, bsss“, wie das Summen einer Fliege. Der schwarze Karl übersetzte dem Medizinmann meine Beschwerden.
Das verursachte im Medizinmann einen Moment intensiven Nachdenkens. Er überlegte wohl, ob er noch einen Termin frei hätte. Nach einer Weile entschied der Medizinmann, die Behandlung meines Leidens am nächsten Nachmittag um die gleiche Zeit vornehmen zu wollen. Ich war einverstanden und gleichzeitig gespannt, was mich am nächsten Tag erwarten würde.
In der Nacht verfolgten mich wilde Träume von bemalten Medizinmännern, die um mich herum tanzten und die wildesten Experimente mit mir durchführten. Mein Ohr wurde abgeschnitten und einer der Medizinmänner bohrte in der Wunde herum. Nachdem er lange in meinem Kopf herumgestochert hatte, zog er plötzlich eine Maus aus meinem Ohr und hielt sie hoch. Das war also des Piepens Lösung. Er reichte die Maus einem zweiten Medizinmann, der sie auf einem Spieß über einem Feuer briet. Dann musste ich den Braten aufessen und der schwarze Karl sagte mir, nun könne die Maus nicht mehr piepen. Inzwischen hatte einer der Medizinmänner mir das abgeschnittene Ohr wieder angenäht. Mitten in diesem Alptraum wachte ich Gott sei Dank auf. Ich machte Licht und sammelte mich. Dann spülte ich den fürchterlichen Traum mit einem doppelten Whisky herunter und nahm zur Sicherheit einen zweiten Doppelten. Den Rest der Nacht überstand ich ohne große Probleme.
Geschichte, Buch, Blauer Diamant, Wilhelm Schneider
Seite 138
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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