Missionarin ohne Heiligenschein (Teil 3)

Aufbruch in ein neues Leben (Folge 1)

30. September 1996. Es kann endlich losgehen. Meine komplette Wohnungseinrichtung ist verkauft. Nun stehe ich da mit meinem letzten Hab und Gut, verpackt in zwei Regentonnen und einem Koffer.

Am Frankfurter Flughafen haben sich einige Freunde und Verwandte versammelt, um mich zu verabschieden – in eine mir völlig unbekannte Welt. Sie harren bis Mitternacht mit mir aus. Bis endlich mein Flug aufgerufen wird. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Der zwanzig Jahre alte Jumbo Etoscha bringt mich in 9,5 Stunden in die Hauptstadt Namibias, nach Windhoek. Heidi ist bereits vor zehn Tagen los geflogen. Stocksteif sitze ich da. Den ganzen Flug lang. Ich schmökere ein bisschen in dem Abschiedsgeschenk meines Missionsleiters. In dem Buch geht es vorwiegend um Missionare, die nie am Zielort angekommen sind. Nicht gerade die beste Lektüre bei meiner Flugangst. Ich bete, dass mir das Schicksal meiner Missionskollegen aus dem 18. Jahrhundert nicht zuteil wird. Beim Landeanflug bin ich so froh, endlich da zu sein, dass mich die Aussicht scheinbar mitten im Nirgendwo zu landen, auch nicht mehr wirklich schocken kann. Unter mir ist absolut nichts. Kein Haus, keine Straße, kein Lebewesen. Nur Wüste. Mir kommen die ersten Zweifel. Das soll die nächsten drei Jahre mein Zuhause sein?

Meine neue Chefin, Jannie, eine Holländerin, und eine Kollegin warten bereits am Hosea-Kutako-Flughafen auf mich, der 40 km außerhalb Windhoeks liegt. Wo ist Heidi? Warum holt sie mich nicht ab? Es ist brütend heiß. Ich schätze die Temperatur auf 30 Grad. Es sind 38. Die Erde flimmert. Und das Anfang Oktober. Dabei fängt der Sommer gerade erst an.Meine neuen Kolleginnen begrüßen mich auf englisch. Ich verstehe kein Wort von all ihren Fragen. Irgendwann auf der 30-minütigen Fahrt vom Flughafen in die Hauptstadt kapieren die beiden, dass ich mich viel besser auf Afrikaans unterhalten kann. Das löst etwas Verwirrung aus.Ich bin bereits am Ende. Der lange Flug, die Hitze. Ich möchte nur noch ins Bett. Das steht in meiner Bedürfnishierarchie ganz oben, neben duschen und essen.

Schnell wird mir klar, dass meine Bedürfnisse wahrscheinlich nicht so schnell befriedigt werden. Es geht erstmal mit meinem Pass für irgendeinen Stempel in irgendein Büro. Windhoek erinnert mich mit seinen Gebäuden an Bremen. Nur die riesigen Palmen, die violettfarbenen duftenden Jakarandabäume und die vielen schwarzen Menschen in farbenfroher Kleidung, erinnern an Afrika. Alles ist recht übersichtlich. Eine kleine Stadt. Fast dörflich. Deshalb sagen die Namibier wohl auch „Ek gaan na die dorp too” (Ich gehe ins Dorf), wenn sie in die Hauptstadt fahren. Ich verliebe mich sofort in die hügeligen Bergketten, in die Windhoek eingebettet ist.Und in das tolle Licht, dass die Berge ständig in andere Farben taucht. Mal schimmern die Hügelketten braun, dann gelblich, dann wieder in einem Rotton.

Wir fahren weiter zu meiner Unterkunft in Khomasdal. Während der Apartheidzeit ein Stadtteil für “Coloureds”, wie hier die Menschen die von Weißen und Schwarzen abstammen, genannt werden. Kein stolzes Kapitel der Geschichte. Es steht für Rassenhass und Unterdrückung, Schmerzen, Tränen und Tod.

Mit sichtlichem Stolz führt man mich zu meiner Unterkunft. Ein Ein-Zimmer-Appartement. Immerhin mit eigener Dusche und Toilette. „Extra für dich und Heidi gebaut”, erklärt Jannie mit sichtbarem Stolz. Einrichtungsgegenstände sind ein Stahlbett wie bei der Bundeswehr, mit einer durchgelegenen, bananenförmigen fleckigen Matratze, ein, wie ich später feststelle, vollgekotztes Kopfkissen, ein Nachtschränkchen, ein alter Kleiderschrank, ein Stuhl und eine Kochgelegenheit mit zwei spiralförmigen Kochplatten. Eine Gabel, ein Löffel, ein Messer, ein Teller und eine Tasse, ein kleiner Teppich. Das absolut Wesentliche. Im Bad fehlen noch die letzten Kacheln an den Wänden. Nicht gerade einladend. Nicht gerade das was ich mir unter einem herzlichen Willkommen vorgestellt habe. Aber immerhin bin ich lebend angekommen. In dem Buch von meinem Missionsleiter, das er mir als Fluglektüre geschenkt hat, hat es nicht ein einziger Missionar geschafft dort anzukommen, wo er hinwollte. Sie sind fast alle bereits auf der monatelangen Seefahrt an Malaria, Schwarzwasserfieber und mir sonstigen unbekannten Krankheiten dahingerafft worden. Und wenn es doch mal einer geschafft hatte am Ziel seiner Bestimmung anzukommen, wurde er sogleich von dem Naturvolk aufgespießt, gevierteilt, verspeist.

Viel Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, habe ich nicht. Es geht zur Besichtigung des Jürgen-Wahn-Zentrums. Endlich treffe ich Heidi an. Sie sitzt über Büchern vertieft am Schreibtisch. Die Wiedersehensfreude ist groß. Aber ich sehe ihrem Gesicht an, dass sie völlig erschöpft ist. Die letzten zehn Tage waren für sie eine besondere Herausforderung.